Kafka als Teufel

Vor der Auslage von Casinelli drückten sich 2 Kinder herum, ein etwa 6 Jahre alter Junge, ein 7 Jahre altes Mädchen, reich angezogen, sprachen von Gott und von Sünden. Ich blieb hinter ihnen stehn. Das Mädchen vielleicht katholisch hielt nur das Belügen Gottes für eine eigentliche Sünde. Kindlich hartnäckig fragte der Junge, vielleicht ein Protestant, was das Belügen des Menschen oder das Stehlen sei. »Auch eine sehr grosse Sünde« sagte das Mädchen »aber nicht die grösste, nur die Sünden an Gott sind die grössten, für die Sünden an Menschen haben wir die Beichte. Wenn ich beichte steht gleich wieder der Engel hinter mir; wenn ich nämlich eine Sünde begehe, kommt der Teufel hinter mich, nur sieht man ihn nicht.« Und des halben Ernstes müde, drehte sie sich zum Spasse auf den Haken um und sagte: »Siehst Du niemand ist hinter mir.« Ebenso drehte sich der Junge um und sah dort mich. »Siehst Du« sagte er ohne Rücksicht darauf, dass ich es hören musste, aber auch ohne daran zu denken »hinter mir steht der Teufel.« »Den sehe ich auch« sagte das Mädchen »aber den meine ich nicht«
 

Quelle: Tagebucheintrag vom 18. Februar 1920. In: Franz Kafka, Tagebücher, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Michael Müller und Malcolm Pasley, Frankfurt am Main (S. Fischer) 1990, S. 857f. — »Casinelli« war eine Prager Buchhandlung und Leihbücherei.