Das Schloss (Werk)

Entstehung

An seinem letzten Roman Das Schloss arbeitete Kafka von Ende Januar bis Ende August 1922. Begonnen wurde die Niederschrift in Spindelmühle im Riesengebirge, abgebrochen wurde sie im westböhmischen Planá nahe der deutschen Grenze, in einer Sommerwohnung, die seine Schwester Ottla angemietet hatte. In diesen Zeitraum fällt Kafkas krankheitsbedingte Pensionierung in der Arbeiter-Unfallversicherung.

Ob Kafka von Anfang an einen Roman ins Auge fasste, ist unklar. Das Fragment, das er zunächst niederschrieb und das ebenfalls die Ankunft eines misstrauischen Gastes in einem ländlichen Gasthof schildert, zeigt eine knappe Diktion, die eher an einen kürzeren Prosatext denken lässt. Auch war sich Kafka nicht von Anbeginn über die Perspektive im Klaren, aus der er das Geschehen schildern wollte. Denn die beiden ersten Kapitel verfasste er zunächst in Ich-Form; erst mitten im dritten Kapitel entschloss er sich, zur Er-Form zu wechseln und den Protagonisten wiederum »K.« zu nennen (wie schon im Process). Kafka musste also den bereits niedergeschriebenen Text entsprechend korrigieren.

Der Abbruch des Romans geht wohl vor allem auf die psychische Instabilität Kafkas zurück, der im Herbst 1922 mehrfach Angstattacken erlitt. Das Manuskript, das gegen Ende ungewöhnlich lange Streichungen enthält, offenbart jedoch auch formale Probleme: Anscheinend hatte Kafka Schwierigkeiten, die zunehmende Zahl von Figuren und Erzählsträngen noch überzeugend miteinander in Beziehung zu bringen, so dass sich das erzählerische Gewebe gleichsam unter seinen Händen auflöste. Das Manuskript des Schloss lässt deutlich erkennen, dass das von Kafka bevorzugte spontane, selbstversunkene Schreiben mit der Organisation eines komplexen Romans in Widerstreit geriet.
 

Form und Gehalt

Die Romane Der Process und Das Schloss sind eng miteinander verwandt und zeigen eine Fülle thematischer und formaler Parallelen:

— die strikte Beschränkung auf die Perspektive des Helden;

— dessen stets von den eigenen Interessen gesteuertes, im Grunde asoziales Verhalten gegenüber anderen Menschen;

— sein Kampf gegen eine undurchsichtige, scheinbar allmächtige Behörde, deren oberste Instanzen verborgen bleiben;

— die enge Zugehörigkeit der Frauen zum bürokratischen Machtsystem und die sexuelle Gier der Beamten;

— die Bedeutsamkeit alles Schriftlichen in Gestalt von Protokollen und Akten;

— schließlich die zweideutige Position des Helden, der sich selbst für unschuldig bzw. ›berufen‹ hält, der jedoch vom Autor immer wieder bloßgestellt wird und der mit zunehmender Selbsterkenntnis seine kämpferischen Impulse einbüßt.

Ein auffälliger Unterschied besteht zunächst darin, dass im Process die Verhaftung und das anschließende Verfahren für den Bankbeamten Josef K. völlig überraschend kommt, während der angebliche Landvermesser K. als Eindringling auftritt, der sich aus freien Stücken auf den Kampf mit den Behörden einlässt und der sich ein Lebensrecht am Fuß des Schlossbergs gleichsam ertrotzen will. Bei genauer Lektüre zeigt sich jedoch, dass sich das Gericht im Process ebenso passiv und reaktiv verhält wie die Schlosskanzleien. »Das Gericht will nichts von dir«, heißt es ausdrücklich im Process, während das Schloss K.s falsche Behauptungen neutral zu Protokoll nimmt und ihn ansonsten auf Distanz hält.

Ein tatsächlich bedeutsamer Unterschied ist, dass im Process immer wieder von einem geheimnisvollen, offenbar in schriftlicher Form existierenden »Gesetz« die Rede ist, während im Schloss versucht wird, die Logik der Behörden aus der Lebenspraxis selbst herauszubuchstabieren: aus Bestimmungen, Ritualen und tradierten Verhaltensweisen. Das Schloss ist demnach ›realistischer‹ als Der Process, und an die Stelle von Traum-Elementen treten lange, forschende Dialog-Passagen.

Neu ist weiterhin im Schloss-Roman, dass eine ganze Reihe vor allem weiblicher Figuren in den Landvermesser gewisse Hoffnungen setzen, trotz dessen Unwissenheit und Machtlosigkeit, während der Angeklagte im Process keinerlei echte Sympathien weckt. Auch wird im Schloss erstmals eingeräumt, dass das bürokratische System durchaus Schwachstellen hat und angreifbar ist (siehe die Erläuterungen des Sekretärs Bürgel im 23. Kapitel). Schließlich plante Kafka (wie Max Brod berichtet), den Roman zwar mit dem Tod des Landvermessers, keineswegs aber mit dessen vollständiger Niederlage enden zu lassen: Im letzten Augenblick sollte er durch die Schlossbehörde das ersehnte Aufenthaltsrecht im Dorf erlangen.
 

Publikation 

Zu Lebzeiten Kafkas erfuhr die Öffentlichkeit nichts vom Schloss-Roman. Max Brod gab das Werk jedoch schon 1926 aus dem Nachlass heraus (Kurt Wolff Verlag, München), wobei er zwei Episoden wegließ, die er für unfertig hielt. Die langen, gestrichenen Passagen, die für das Verständnis des Romans nicht unerheblich sind, erschienen dann erst in späteren Ausgaben (Schocken Verlag, Berlin 1935 und New York 1946; S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1951). Das Manuskript, das aus sechs Heften besteht, befindet sich heute in der Bodleian Library in Oxford.

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