Die Frauen

Felice Bauer mit Franz Kafka-01
© Archiv Klaus Wagenbach

Über Kafkas schwierige, zeitweise qualvollen Beziehungen zu Frauen ist viel räsoniert worden. Da jedoch über seine Geliebten wenig bekannt war (und teilweise noch ist), wurden immer wieder die neurotischen, asketischen oder gar masochistischen Züge Kafkas hervorgehoben und für sein Scheitern allein verantwortlich gemacht.

Kafkas erotisches Leben entsprach bis zum Ende seiner Adoleszenz weitgehend den männlichen Gepflogenheiten der Zeit: sexuelle Initiation erst mit 20 Jahren, flüchtige Affären, Beziehungen zu Prostituierten. Danach traten jedoch Affekte hervor, die miteinander unvereinbar waren und daher jede erotische Erfüllung blockierten:

— der dringliche Wunsch, die eigene psychische Isolation durch (reale oder phantasierte) Verschmelzung mit einer Frau zu durchbrechen, was zu heftigen, aussichtslosen Verliebtheiten führte (z.B. Margarethe Kirchner in Weimar);

— die Tendenz, starke Außenreize und damit auch jegliche ›Abenteuer‹ zu vermeiden, um die stets gefährdete und immer wieder neu erkämpfe Ich-Stabilität nicht zu zerstören;

— eine zunehmende Idealisierung der Ehe, die Kafka als höchste soziale Leistung und damit auch als entscheidende Prüfung der eigenen Lebenstüchtigkeit betrachtete;

— ein sich immer weiter verzweigender moralischer Rigorismus, der es Kafka unmöglich machte, in offenen, ungeklärten oder zweideutigen Beziehungen zu leben;

— schließlich die Furcht, durch soziale und vor allem erotische Beziehungen an literarischer Kreativität einzubüßen.

Die Folge dieser Widersprüche war, dass Kafka zwischen Bindungs-Begehren und Bindungs-Angst keinen gangbaren Weg fand. Er blieb schwankend in seinen Entschlüssen — was im Fall Felice Bauers zu zwei Verlobungen und zwei Trennungen führte —, und er vermochte nicht, zwischen Symbiose und Distanz zeitweilige Kompromisse hinzunehmen, woran vor allem die Beziehung zu Milena Jesenská scheiterte.

Ein ungünstiger Umstand war weiterhin, dass Kafka in seinem Freundeskreis keine einzige glückliche Ehe vorfand, an der er — stets auf der Suche nach Vorbildern und Lebensrezepten — sich hätte orientieren können. Auch die Befangenheit gegenüber dem anderen Geschlecht, die aus der damals strikten Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen resultierte, vermochte Kafka kaum jemals abzulegen. Erst das ›natürliche‹, unkokette, eher schwesterliche Verhalten Dora Diamants verschaffte Kafka in den letzten Monaten seines Lebens eine zuvor ungekannte Gelassenheit.