Kafka erfindet den Anrufbeantworter

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S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main

›Daumenkino‹ aus dem Nachlass Felice Bauers.

Es wird eine Verbindung zwischen dem Telephon und dem Parlographen erfunden, was doch wirklich nicht so schwer sein kann. Gewiss meldest Du mir schon übermorgen, dass es gelungen ist. Das hätte natürlich ungeheuere Bedeutung für Redaktionen, Korrespondenzbureaux u.s.w. Schwerer, aber wohl auch möglich, wäre eine Verbindung zwischen Grammophon und Telephon. Schwerer deshalb, weil man ja das Grammophon überhaupt nicht versteht und ein Parlograph nicht um deutliche Aussprache bitten kann. Eine Verbindung zwischen Grammophon und Telephon hätte ja auch keine so grosse allgemeine Bedeutung, nur für Leute, die, wie ich, vor dem Telephon Angst haben, wäre es eine Erleichterung. Allerdings haben Leute wie ich auch vor dem Grammophon Angst und es ist ihnen überhaupt nicht zu helfen. Übrigens ist die Vorstellung ganz hübsch, dass in Berlin ein Parlograph zum Telephon geht und in Prag ein Grammophon und diese zwei eine kleine Unterhaltung mit einander führen. Aber Liebste die Verbindung zwischen Parlograph und Telephon muss unbedingt erfunden werden.

 

Obwohl Kafka befangen und skeptisch im Umgang mit neuesten technischen Geräten blieb – vor allem dann, wenn sie sich in die soziale Kommunikation einmischten –, war er doch stets fasziniert von Menschen, die solche Geräte routiniert zu handhaben wussten. Dazu zählte auch seine Verlobte Felice Bauer, die in der Berliner Carl Lindström AG für den Vertrieb des ›Parlographen‹ zuständig war, eines Diktiergeräts. In einem wenige Sekunden dauernden Film, den Lindström zu Werbezwecken produzierte, ist zu sehen, wie Felice Bauer mit Parlograph und Schreibmaschine gleichzeitig arbeitet (siehe Abbildung).

Kafkas Idee aus dem Jahr 1913, Telefon und Diktiergerät zu kombinieren, konnte Felice Bauer schon deshalb nicht verwerten, weil diese Verbindung bereits realisiert und patentiert war – inklusive der Funktionen des Anrufbeantworters. Seit 1900 gab es den von dem Ingenieur Ernest O. Kumberg erfundenen ›Telephonographen‹, und in Meyers Konversationslexikon von 1909 wird das in Dänemark hergestellte ›Telegraphon‹ beschrieben. Diese Geräte waren jedoch recht umständlich zu bedienen und fanden keine große Verbreitung. Der erste auch für private Haushalte geeignete Anrufbeantworter, das ›Isophon‹, kam erst in den fünfziger Jahren zum Einsatz.

 

Quelle: Franz Kafka, Brief an Felice Bauer, 22./23. Januar 1913, in: Briefe 1913–März 1914, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt am Main (S. Fischer) 1999, S. 58f