Kafka lacht den Präsidenten aus

Foto von Otto Přibram, 1914
© S. Fischer Verlag

Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran, ich bin sogar als grosser Lacher bekannt, doch war ich in dieser Hinsicht früher viel närrischer als jetzt. Es ist mir sogar passiert, dass ich in einer feierlichen Unterredung mit unserem Präsidenten – es ist schon zwei Jahre her wird aber in der Anstalt als Legende mich überleben – zu lachen angefangen habe; aber wie! Es wäre zu umständlich, Dir die Bedeutung dieses Mannes darzustellen, glaube mir also, dass sie sehr gross ist, und dass ein normaler Anstaltsbeamter sich diesen Mann nicht auf der Erde, sondern in den Wolken vorstellt. Und da wir im allgemeinen nicht viel Gelegenheit haben mit dem Kaiser zu reden, so ersetzt dieser Mann dem normalen Beamten – ähnlich ist es ja in allen grossen Betrieben – das Gefühl einer Zusammenkunft mit dem Kaiser. Natürlich haftet auch diesem Mann, wie jedem in ganz klare allgemeine Beobachtung gestellten Menschen, dessen Stellung nicht ganz dem eigenen Verdienste entspricht, genug Lächerlichkeit an, aber sich durch eine solche Selbstverständlichkeit, durch diese Art Naturerscheinung, gar in der Gegenwart des grossen Mannes zum Lachen verleiten lassen, dazu muss man schon gottverlassen sein. Wir – zwei Kollegen und ich – waren damals gerade zu einem höhern Rang erhoben worden und hatten uns in feierlichem schwarzen Anzug beim Präsidenten zu bedanken, wobei ich nicht zu sagen vergessen darf, dass ich aus besonderem Grunde dem Präsidenten von vornherein zu besonderem Dank verpflichtet bin. Der würdigste von uns dreien – ich war der jüngste – hielt die Dankrede, kurz, vernünftig, schneidig wie das seinem Wesen entsprach. Der Präsident hörte in seiner gewöhnlichen, bei feierlichen Gelegenheit gewählten, ein wenig an die Audienzhaltung unseres Kaisers erinnernden, tatsächlich (wenn man will und nicht anders kann) urkomischen Stellung zu. Die Beine leicht gekreuzt, die linke Hand zur Faust geballt auf die äusserste Tischecke gelegt, den Kopf gesenkt so dass sich der weisse Vollbart auf der Brust einbiegt und zu alledem den nicht allzu grossen aber immerhin vortretenden Bauch ein wenig schaukelnd. Ich muss damals in einer sehr unbeherrschbaren Laune gewesen sein, denn diese Stellung kannte ich schon zur Genüge und es war gar nicht nötig, dass ich, allerdings mit Unterbrechungen, kleine Lachanfälle bekam, die sich aber noch leicht als Hustenreiz erklären liessen, zumal der Präsident nicht aufsah. Auch hielt mich die klare Stimme meines Kollegen, der nur vorwärts blickte und meinen Zustand wohl bemerkte, ohne sich aber von ihm beeinflussen zu lassen, noch genug im Zaum. Da hob aber der Präsident nach Beendigung der Rede meines Kollegen das Gesicht und nun packte mich für einen Augenblick ein Schrecken ohne Lachen, denn nun konnte er ja auch meine Mienen sehn und leicht feststellen, dass das Lachen, das mir zu meinem Leidwesen aus dem Munde kam, durchaus kein Husten war. Als er aber seine Rede anfieng, wieder diese übliche, längst vorher bekannte, kaiserlich schematische, von schweren Brusttönen begleitete, ganz und gar sinnlose und unbegründete Rede, als mein Kollege durch Seitenblicke mich, der ich mich ja gerade zu beherrschen suchte, warnen wollte und mich gerade dadurch lebhaft an den Genuss des frühern Lachens erinnerte, konnte ich mich nicht mehr halten und alle Hoffnung schwand mir, dass ich mich jemals würde halten können. Zuerst lachte ich nur zu den kleinen hie und da eingestreuten zarten Spässchen des Präsidenten; während es aber Gesetz ist, dass man zu solchen Spässchen nur gerade in Respekt das Gesicht verzieht, lachte ich schon aus vollem Halse, ich sah wie meine Kollegen aus Furcht vor Ansteckung erschraken, ich hatte mit ihnen mehr Mitleid als mit mir, aber ich konnte mir nicht helfen, dabei suchte ich mich nicht etwa abzuwenden oder die Hand vorzuhalten, sondern starrte immerzu dem Präsidenten in meiner Hilflosigkeit ins Gesicht, unfähig das Gesicht wegzuwenden, wahrscheinlich in einer gefühlsmässigen Annahme, dass nichts besser, alles nur schlechter werden könne und dass es daher am besten sei, jede Veränderung zu vermeiden. Natürlich lachte ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, nicht mehr bloss über die gegenwärtigen Spässchen, sondern auch über die vergangenen und die zukünftigen und über alle zusammen und kein Mensch wusste mehr, worüber ich eigentlich lache; eine allgemeine Verlegenheit fieng an, nur der Präsident war noch verhältnismässig unbeteiligt, als grosser Mann, der an Vielerlei in der Welt gewöhnt ist und dem übrigens die Möglichkeit der Respektlosigkeit vor seiner Person gar nicht eingehn kann. Wenn wir in diesem Zeitpunkt herausgeschlüpft wären, der Präsident kürzte auch vielleicht seine Rede ein wenig ab, wäre noch alles ziemlich gut abgelaufen, mein Benehmen wäre zwar zweifellos unanständig gewesen, diese Unanständigkeit wäre aber nicht offen zur Sprache gekommen und die Angelegenheit wäre, wie dies mit solchen scheinbar unmöglichen Dingen öfters geschieht, durch stillschweigendes Übereinkommen unserer vier, die wir beteiligt waren, erledigt gewesen. Nun fieng aber zum Unglück der bisher nicht erwähnte Kollege (ein fast 40jähriger Mann mit rundem kindischen aber bärtigen Gesicht, dabei ein fester Biertrinker) eine kleine ganz unerwartete Rede an. Im Augenblick war es mir vollständig unbegreiflich, er war ja schon durch mein Lachen ganz aus der Fassung gebracht gewesen, hatte mit vor verhaltenem Lachen aufgeblähten Wangen dagestanden und – jetzt fieng er eine ernste Rede an. Nun war das aber bei ihm gut verständlich. Er hat ein so leeres hitziges Temperament, ist imstande, von allen anerkannte, Behauptungen leidenschaftlich endlos zu vertreten und die Langweile dieser Reden wäre ohne das Lächerliche und Sympathische ihrer Leidenschaft unerträglich. Nun hatte der Präsident in aller Harmlosigkeit irgendetwas gesagt, was diesem Kollegen nicht ganz passte, ausserdem hatte er, vielleicht durch den Anblick meines schon ununterbrochenen Lachens beeinflusst, ein wenig daran vergessen wo er sich befand, kurz er glaubte, es sei der richtige Augenblick gekommen, mit seinen besondern Ansichten hervorzutreten und den (gegen alles, was andere reden, natürlich zum Tode gleichgültigen) Präsidenten zu überzeugen. Als er also jetzt mit schwingenden Handbewegungen etwas (schon im Allgemeinen und hier insbesondere) Läppisches daherredete, wurde es mir zu viel, die Welt, die ich bisher immerhin im Schein vor den Augen gehabt hatte, vergieng mir völlig und ich stimmte ein so lautes rücksichtsloses Lachen an, wie es vielleicht in dieser Herzlichkeit nur Volksschülern in ihren Schulbänken gegeben ist. Alles verstummte und nun war ich endlich mit meinem Lachen anerkannter Mittelpunkt. Dabei schlotterten mir natürlich vor Angst die Knie, während ich lachte, und meine Collegen konnten nun ihrerseits nach Belieben mitlachen, die Grässlichkeit meines solange vorbereiteten und geübten Lachens erreichten sie ja doch nicht und blieben vergleichsweise unbemerkt. Mit der rechten Hand meine Brust schlagend, zum Teil im Bewusstsein meiner Sünde (in Erinnerung an den Versöhnungstag) zum Teil um das viele verhaltene Lachen aus der Brust herauszutreiben, brachte ich vielerlei Entschuldigungen für mein Lachen vor, die vielleicht alle sehr überzeugend waren, aber infolge neuen immer dazwischenfahrenden Lachens gänzlich unverstanden blieben. Nun war natürlich selbst der Präsident beirrt und nur in dem solchen Leuten schon mit allen seinen Hilfsmitteln eingeborenen Gefühl alles möglichst abzurunden, fand er irgend eine Phrase, die meinem Heulen irgend eine menschliche Erklärung gab, ich glaube eine Beziehung zu einem Spass, den er vor langer Zeit gemacht hatte. Dann entliess er uns eilig. Unbesiegt, mit grossem Lachen, aber totunglücklich stolperte ich als erster aus dem Saal.

 

Der Vorfall, den Kafka in diesem Brief an Felice Bauer schildert, ist datierbar auf den 28. April 1910; an diesem Tag wurde er in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt über seine Beförderung zum ›Concipisten‹ offiziell belehrt. Warum Kafka das eigene Verhalten gegenüber seinem höchsten Vorgesetzten, dem 65-jährigen Professor und Hofrat Otto Přibram (siehe Abbildung), so überaus peinlich war, deutet er hier nur an: Er schreibt, er sei aus besonderem Grunde dem Präsidenten von vornherein zu besonderem Dank verpflichtet. Das ist eine Anspielung auf die Umstände, denen es Kafka verdankte, dass er im Juli 1908 in die Versicherungsbehörde überhaupt aufgenommen wurde. Der Präsident der Anstalt war nämlich der Vater seines Schulfreundes Ewald Přibram, und nur diese persönliche Beziehung, also Přibrams Fürsprache, machte es möglich, dass Kafka als jüdischer Bewerber eine Chance erhielt.

 

Quelle: Brief an Felice Bauer, 8./9. Januar 1913, in: Franz Kafka, Briefe 1913 – März 1914, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt am Main 1999 (S. Fischer), S. 26-29.