Letzter Gruß aus der Monarchie

Sehr geehrter Verlag!

Gleichzeitig schicke ich Ihnen express-rekommando das Manuscript der »Strafkolonie« mit einem Brief. Meine Adresse ist: Prag, Pořič 7

Hochachtungsvoll
ergeben
Dr Kafka  11 XI 18

 

Kafkas Postkarte an den Kurt Wolff Verlag in Leipzig ist bemerkenswert vor allem wegen des Datums: Am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg mit einem von Deutschland unterzeichneten Waffenstillstand, nachdem am Tag zuvor Wilhelm II. nach Holland geflohen war; gleichzeitig trat der österreichisch-ungarische Kaiser Karl I. zurück, was das Ende der k.u.k. Monarchie bedeutete. Obwohl also Kafka Postkarte und Manuskript »express-rekommando« nach Deutschland schickte (das heißt per Einschreiben), gingen diese Sendungen ins Ungewisse: Sowohl das Land des Absenders als auch das des Empfängers existierten in ihrer bisherigen Form nicht mehr – seit wenigen Stunden.

Kafkas Erzählung In der Strafkolonie entstand bereits im Oktober 1914; am 10. November 1916 las er sie öffentlich in München vor (siehe das Fundstück ›Kafka-Lesung als Körperverletzung?‹). Kurt Wolff erhielt eine Abschrift spätestens im Sommer 1916, konnte sich jedoch wegen des abschreckenden Stoffs zunächst nicht dazu entschließen, die Geschichte in einem separaten Band zu veröffentlichen. Erst im Herbst 1918 wurden die Verhandlungen mit dem Autor wieder aufgenommen, am 11. November, dem Tag der Postkarte, nahm Kafka noch eine kleine Kürzung des Textes vor. Wegen herstellungstechnischer Probleme, Versäumnissen im Verlag sowie eines Streiks der Buchhändler verzögerte sich die Auslieferung bis Oktober 1919. Bis Mitte 1920 wurden etwa 600 Exemplare verkauft.

 

Quelle: Franz Kafka, Drucke zu Lebzeiten, hrsg. von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann, Frankfurt am Main (S. Fischer) 1996, Apparatband, S. 272ff.

Die Postkarte befindet sich in der Collection of German Literature, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University, New Haven.